Poesie des Alltags: Die Gedichte von Mascha Kaléko

Wer Lyrik bislang für schwer zugänglich gehalten hat, der kennt Mascha Kalékos Dichtung nicht. Denn diese Gedichte sind leicht, federleicht. Versprochen.

Der Gedichtband "Wir haben keine andre Zeit als diese" von Mascha Kaléko

Mascha Kalékos Lyrik: Nah am Leben

Mascha Kalékos lyrisches Wirken begann im Berlin der späten 1920er Jahre, in denen sie Anschluss an die künstlerische Avantgarde im Romanischen Café fand. Die Besonderheit ihrer Lyrik war schon damals ihre schlichte Zugänglichkeit.

Kaléko beschwört in ihren Gedichten keine dramatischen Sonnenuntergänge, lieblichen Rosen oder spektakulären Weltuntergänge, sondern schlichte Alltagsphänomene, verpackt in einfache, leicht verständliche Worte – punktgenau und treffsicher beschrieben.

Weiß Gott, ich bin ganz unmodern.
Ich schäme mich zuschanden:
Zwar liest man meine Verse gern,
doch werden sie – verstanden!
— Mascha Kaléko

Mascha Kalékos Lyrik wurde von Kritikern als Gebrauchslyrik gestempelt – ein Begriff, dem man das Naserümpfen und die spitzen Finger anmerkt. Das kann uns aber egal sein – denn ihr war es das auch.

In ihren kurzen, knappen Versen versteht Kaléko es, die alltäglichsten Phänomene eindringlich zu beschreiben. Unsagbares auszudrücken. Die vielen kleinen Nebensächlichkeiten unserer Existenz auf humorvolle Weise auf den Punkt zu bringen.

Leicht – und mit Tiefgang

Dabei ist ihre Lyrik absolut keine reine Sonnenschein-Dichtung. Kalékos Biografie ist mit den Erfahrungen von Tod, Trauer, Verlust, Einsamkeit und Fremdheit gepflastert. Als Jüdin erfuhr sie im nationalsozialistischen Deutschland Verfolgung und Vertreibung, im amerikanischen Exil litt sie unter ihrer Fremdheit und dem Verlust der ihr so vertrauten Sprache.

Die Schwere dieser Erfahrungen verleiht auch Kalékos Lyrik seelischen Tiefgang. Und es beeindruckt mich immer wieder, wie meisterhaft sie beides beherrscht: den locker-humorvollen Stil und die tief-melancholische Tönung.

Dafür brauchen ihre Gedichte keinen Überschwang an Worten. In radikal reduzierter Form treffen sie den Ton, einen Gedanken, ein Bild.

Die Nacht,
In der
Das Fürchten
Wohnt

Hat auch
Die Sterne
Und den
Mond
— Mascha Kaléko

Mascha Kalékos Gedichte sind treue Alltagsbegleiter: Erste-Hilfe-Lyrik bei Liebeskummer, Fernweh, Abschiedsschmerz und Todesangst. Wirkungsvolle Stimmungsaufheller an trüben wie an bunten Tagen, und in jedem Fall ein zuverlässiger Trost gegen Einsamkeitsgefühle. Man schlägt das Büchlein auf, blättert ein wenig und weiß: Ganz so schlimm kann alles nicht sein, wenn Kaléko so wunderbar leichtfüßige Gedichte darüber zu schreiben wusste.

Es gilt: eintauchen und sich mit Leichtigkeit beschenken lassen.

P.s.: Es ist im Übrigen völlig gleich, welchen Gedichtband ihr euch von Mascha Kaléko besorgt. Sie sind sicher alle wundervoll.


Das Buch

Mascha Kaléko: Wir haben keine andre Zeit als diese. Gedichte über das Leben. Ausgewählt und herausgegeben von Eva-Maria Prokop. Erschienen 2023 bei dtv. 144 Seiten.

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