Exkurs: Was ist Kunst wert?

Wir sprechen über Kunst und Geld. Über Crowdfunding, Patreon und darüber, wie wichtig finanzielle Unabhängigkeit für die Entstehung von Kunst ist. Und wie unbezahlbar echte Verbindung zwischen Menschen.

Amanda Palmer und Judith Holofernes teilen ihre Kunst auf Patreon und finanzieren sich über Crowdfunding.

Kunst im Abo: Patreon

Im letzten Blogeintrag haben wir über Judith Holofernes und ihren Ausstieg aus dem Musikbusiness gesprochen. Was ich nur ganz am Rande erwähnt habe, ist, wohin Holofernes gegangen ist. Denn nach dem Ende ihrer Musikkarriere hat sie keinesfalls aufgehört, Kunst zu machen.

Der Ort, an dem Judith Holofernes ihr neues künstlerisches Zuhause gefunden hat, ist Patreon. Das ist eine Plattform, auf der Menschen einzelne Künstler direkt unterstützen können. Das läuft als Abo-System: Man zahlt „seiner“ Künstlerin einen kleinen monatlichen Betrag und bekommt dafür unterschiedlichste Benefits: Zugang zu exklusiven Inhalten, Live-Fragestunden, Behind-the-scenes-Material – whatever.

Was die Künstlerin davon hat, ist ziemlich klar: Durch den regelmäßigen Geldfluss kann sie ihre Kunst ohne finanziellen Druck ausüben. Sie muss ihre Kunst also nicht auf Biegen und Brechen auf Verkaufbarkeit optimieren, sondern kann sich ganz auf die Inhalte ihrer Arbeit konzentrieren und ihrer Kreativität freien Lauf lassen.

Im Gegenzug tritt die Künstlerin mit ihrer Community in einen engen Austausch (wie eng, hängt ganz von ihrem persönlichen Gusto ab). Sie lässt sie an ihrem Schaffen teilhaben. Sie gewährt ihnen Einblicke in ihre Arbeit und – nicht zu vergessen – sie beschenkt ihre Fans mit ihrer Kunst.

Das System beruht auf absoluter Freiwilligkeit, auf beiden Seiten. Die Künstlerin ist frei, mit ihren Fans zu teilen, was sie will – und ihre Grenzen dort zu ziehen, wo es ihr gefällt. Auf der anderen Seite sind auch die Fans vollkommen frei, die Künstlerin zu unterstützen – oder eben nicht. Sie selbst bestimmen, wie wichtig ihnen die Arbeit der Künstlerin ist, ob sie sie in der Tiefe berührt, ihnen Trost spendet oder ihnen auf andere Art wichtig ist. 

Doch wenn sie das ist, wenn ihre Kunst ihnen tatsächlich etwas gibt – warum sollten sie die Künstlerin im Gegenzug nicht unterstützen und ihre Arbeit fördern?

Etwas theoretisch? Dann wird’s jetzt um einiges konkreter:

Amanda Palmer: TED-Talk auf YouTube – Die Kunst des Bittens

In ihrem Buch The Art of Asking spricht Amanda über ihre Erfahrungen mit Crowdfunding.

Amanda Palmer, eigenwillige Musikerin (die ihren Stil als eine Mischung aus Punk und Kabarett bezeichnet) und – wenn ihr mich fragt – sehr sehr verrückte, dabei absolut beeindruckende Frau, bringt in ihrem berühmten TED-Talk über die Kunst des Bittens (The Art of Asking im Englischen) die Idee hinter der Verknüpfung von Kunst und Crowdfunding auf den Punkt.

Besonders beeindruckend ist, dass sie (im Gegensatz zu mir) gar nicht versucht, ein theoretisches Konzept zu erklären. Vielmehr erzählt sie von ihrem Werdegang und von ihren Erfahrungen in den Jahren, als sie ihr Auskommen als lebende Statue auf einer Plastikbox verdiente. Sie schildert ihre Verletzlichkeit in diesem Moment, an dem sie sich angemalt und verkleidet schutzlos Fremden auslieferte. Und wie sie mit eben jenen Fremden Großzügigkeit erlebte und Momente echter Nähe teilte.

Heute ist Amanda Palmer eine erfolgreiche Musikerin, die ihre Kunst seit Jahren kostenlos teilt und ganz von der Unterstützung ihrer Crowd lebt. Auf die Frage: „Amanda, wie bringst du die Leute dazu, dich zu bezahlen?“ ist ihre Antwort immer gleich: „Ich bringe sie nicht dazu. Ich lasse es zu.“

Anstatt zu versuchen, eine möglichst große Anzahl von Menschen dazu zu bringen, ihr ein klein wenig Aufmerksamkeit zu schenken, dreht Palmer das Prinzip um: Sie geht eine Verbindung mit ihrer (kleineren) Crowd ein, die dafür umso enger und realer ist. In ihrem TED-Talk sagt sie: „Prominent sein bedeutet, dass viele Menschen dich aus der Ferne lieben.” Und hält dem entgegen: „[Doch] es geht darum, dass wenige Menschen uns aus der Nähe lieben und dass diese Menschen genügen.“

It’s about a few people loving you close and about those people being enough.
— Amanda Palmer

Das Netz dieser so gesponnenen Verbindungen ist so fest, so menschlich und echt, dass es Amanda Palmer trägt. Sie und ihre Fans, seit Jahren.

Aber nun seht es euch selbst an: Amanda Palmer – Die Kunst des Bittens. Das Video dauert ca. 13 Minuten und berührt mich immer wieder, egal wie oft ich es mir ansehe.

Buch: Amanda Palmer – The Art of Asking

Wer nach dem Video genauso geflasht ist wie ich, dem kann ich noch das gleichnamige Buch “The Art of Asking” empfehlen. In ihm finden sich alle Aspekte des TED-Talks, nur viel ausführlicher und noch anschaulicher. Es ist ein intensiver Deep Dive in das Leben dieser sehr ungewöhnlichen Frau. Hat mich absolut fasziniert.

Das Buch ist auf Deutsch vergriffen, leider. Auf Englisch erhältlich.

Podcast: Salon Holofernes – Amanda Palmer „Would You Be My Midwife?”

Ich wurde auf Amanda Palmer über Judith Holofernes aufmerksam. In Die Träume anderer Leute spricht sie ausführlich darüber, wie die beiden miteinander in Kontakt kamen, erst eine sporadische Internetfreundschaft eingingen und später innige Freundinnen wurden.

Es war Amanda Palmer, die Judith Holofernes erst auf die Idee brachte und dann dazu ermutigte, sich als Künstlerin auf Patreon niederzulassen und sich und ihre Kunst in die Obhut ihrer engsten Fans zu geben.

Als Amanda Palmer nach Jahren der Internetfreundschaft einmal nach Berlin kam, bot Holofernes ihr in ihrer Künstlerwohnung an der Hasenheide einen Schlafplatz an. Bei der Gelegenheit nahmen die beiden eine Podcast-Folge auf, in der sie sich über ihr neues Kunstverständnis, Crowdfunding, Patreon und vieles, vieles mehr austauschen.

Wir hören hier zwei Frauen mit Begeisterung über ihre Leidenschaft sprechen, erfahren aber auch alles über ihre Nöte, Zweifel und Stolpersteine auf dem Weg zu einem unabhängigen Künstlerdasein.

Super interessant und ab und zu sehr emotional. Ca. 2 Stunden. Auf Englisch.

Das Gespräch gibt es hier auf YouTube zu hören oder überall, wo es Podcasts gibt.

 

So – why are we talking about this?!

Mich persönlich fasziniert das Thema, weil sich mir mit dieser Denkweise ein ganz neuer Raum von Möglichkeiten erschlossen hat. Dazu ist all dies nicht nur auf Kunst anwendbar, sondern auf jede Art von Inhalten, bei denen so viel verloren geht, wenn wir sie auf ihre Fähigkeit, Geld einzubringen, reduzieren.

Was Amanda Palmer mir zeigt, ist, dass es einen Weg gibt, das zu tun, was uns wichtig ist – und zwar ohne uns zu verbiegen. Einen Weg, auf dem wir großzügig teilen, was wir anzubieten haben. Und Menschen uns mit Großzügigkeit antworten, wenn wir ihnen tatsächlich etwas geben konnten. Du musst gar nicht zum Superstar werden, um etwas zu erreichen. Es kommt darauf an, die Menschen zu finden, für die das, was du anzubieten hast, kostbar ist.

Diese Art, Kunst zu sehen – das berührt mich.

Nicht zuletzt haben mich Amanda Palmer und Judith Holofernes dazu inspiriert, mit WORTKRAM auf Steady zu gehen. (Denn Steady ist nichts anderes als die deutsche Variante von Patreon – nicht ganz so cool, muss ich gestehen, aber kompatibel mit dem deutschen Steuersystem).

Um mit euch zu teilen, was ich anzubieten habe. Und zu schauen, was dann passiert.


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Buchtipp: Joni Majer, Birte Spreuer – worklove

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Buchtipp: Judith Holofernes – Die Träume anderer Leute